LANGENSELBOLD. Ein Konzert der besonderen Art erlebten kürzlich Zuhörerinnen und Zuhörer im Main-Kinzig-Kreis: Mit dem Musikverein »Viktoria« Altenmittlau (MVA) und dem Sinfonischen Landesblasorchester (LBO) des Hessischen Turnverbands teilten sich gleich zwei hessische Spitzenorchester die Bühne der
Klosterberghalle Langenselbold. Zusammen mit Dirigent Oliver Nickel, musikalischer Leiter beider Klangkörper, boten die über 100 Musikerinnen und Musiker ein britisch-französisches Programm und zeigten das breite Spektrum sinfonischer Blasmusik auf.
Den Auftakt machte der MVA mit der »First Suite in Es« von Gustav Holst. Für umfangreich besetzte Blasorchester der heutigen Zeit besteht dabei insbesondere die Herausforderung, die drei Sätze in schlankem, kammermusikalischem Stil vorzutragen.
Dass dies den Altenmittlauern mit Bravour gelang, davon zeugten im Anschluss auch die anerkennenden Worte von Moderator Jürgen K. Groh. Mit viel Witz und allerhand hilfreichen Informationen zu den einzelnen Stücken führte er durch das Programm.
Anschließend folgte mit Marcel Peeters‘ »Charles Chaplin (Selection for Concert Band)« Filmmusik in großem, sinfonischem Gewand. Als Besonderheit präsentierte der MVA zu Beginn des Werks nicht etwa die verlegte Variante von »Limelight Theme«, sondern eine ungekürzte Fassung aus dem Manuskript von Peeters. Sie ist Basis für eine Aufnahme, die 1996 mit der Königlichen Militärkapelle (KMK) der Niederlande entstand.
Ihren Auftritt rundeten die Altenmittlauer mit einer weiteren Rarität für Blasorchester ab, denn »Rhapsody for Trombone« aus der Feder von Gordon Langford ist eigentlich in der britischen Brass-Band-Szene beheimatet. Als Solist konnte hierfür Norwin Hahn, der seit 2017 Solo-Posaunist des hr-Sinfonieorchesters ist, gewonnen werden.
In Langenselbold beeindruckte der 23-Jährige mit virtuosem Spiel und scheute, im Gegensatz zu vielen Kollegen, selbst die mit jazzigen Rhythmen unterlegte Solo-Kadenz nicht.
Starker Applaus und teilweise stehende Ovationen seitens des fachkundigen Publikums waren Ausdruck der Begeisterung für die Interpretation der komplexen Komposition, mit dem sich der MVA von der Bühne und in die Pause verabschiedete.
Das LBO begann seine Konzerthälfte mit »Le chant de l´arbre«, einer Tondichtung von Serge Lancen über das Leben eines Baumes im Jahresverlauf. Von tänzerischen Motiven, die das Sprießen der Knospen
im Frühling beschreiben, über stürmische Herbstwinde, die das Holzregister treffend imitierte, bis zum eisigen und einsamen Winter, von einer melancholischen Oboe dargestellt, konnten die Zuhörer*innen dem Verlauf der Jahreszeiten musikalisch folgen. Dem Auswahlorchester gelang eine ausdrucksstarke Interpretation dieses abwechslungsreich komponierten Stückes.
Im Kontrast dazu beschrieb die Tondichtung »Listening to Paris« einen Spaziergänger in Paris, der verschiedene Stadtviertelel besucht, entlang der Seine verträumt vor sich hin läuft und fast überfahren wird. Das LBO hatte sich für dieses Werk mit der Akkordeonistin Carina Lutz verstärkt und brachte so Pariser Flair auf die Bühne.
Den außergewöhnlichen Abschluss dieses tollen Konzertnachmittags bildete der berühmte »Bolero« von Ravel. Seine Wirkung entfaltet das Stück durch die ständige Wiederholung zweier Themen in unterschiedlichen Klangfarben und durch ein groß angelegtes Crescendo vom leisen Pianissimo bis zum gewaltigen Abgang im Fortissimo. Bei der Uraufführung 1928 rief eine Zuschauerin »Hilfe, ein Verrückter«, worauf Ravel nur »Die hat´s kapiert« antwortete. Die Aufführung in Langenselbold wurde mit »Bravo«-Rufen bedacht.