Gastbeitrag von Walter Wich-Herrlein

Sein 25-jähriges Bestehen feierte das Sinfonische Landesblasorchester des Hessischen Turnverbandes mit einem Galakonzert im Konzertsaal der Universität der Künste in der Berliner Hardenbergstraße.

Es war ein anspruchsvolles und ansprechendes Programm, das sich die Musikerinnen und Musiker um Dirigent Oliver Nickel vorgenommen haben.

Den Auftakt machten die auf der Chorbühne angeordneten Blechbläser sowie die Schlagwerker des Orchesters mit Aaron Coplands „Fanfare for the common man“. Die anlässlich des Eintritts der USA in den Zweiten Weltkrieg komponierte Fanfare war jedoch nicht zur Heldenverehrung gedacht, sondern „für den gemeinen Menschen“, der unter Kriegseinwirkungen zu bestehen hatte.
Das Stück beginnt deshalb mit symbolisiertem Kanonendonner, der von Kesselpauken, großer Trommel und Tam-Tam einen fulminanten Auftakt erhielt. Das folgende Trompetensignal vermittelte so etwas wie Entwarnung. Die weiteren Blechbläser nahmen diese Motive auf und führten zu choralähnlichen Sequenzen, immer wieder unterbrochen durch kräftige Schlagwerkeinwürfe. Mit dynamisch steigender Linie ging es zum gewaltigen Schluss.

Leonard Bernstein schrieb 1956 die Musik zum Musical „Candide“. Als Vorlage für das Libretto von Lillian Hellman diente Voltaire’s Roman „Candide oder der Optimismus“. Darin nimmt Voltaire in satirischer Weise die Philosophie von Gottfried Wilhelm Leibnitz, dass wir „in der besten aller möglichen Welten leben“, auf‘s Korn.
Der Arrangeur und Militärkapellmeister Clare Grundman bearbeitete fünf Partien dieses Musicals für ein Blasorchesterwerk, dessen erster Satz „The Best of All Possible Worlds“ von Dirigent Oliver Nickel schwungvoll vorgezeichnet und von den Musikern mit gleicher Euphorie aufgenommen wurde.

Mit „Westphalia Chorale and Battle Scene“ (Westfälischer Choral und Kampfszene) ist der zweite Satz überschrieben, den der Klarinettensatz und das Fagott mit der Choralmelodie einleiten. Die Blechbläser führten im Wechsel mit den Holzbläsern das Thema weiter bis zum alle vereinenden Schluss, der abrupt in die Darstellung des Kampfgetümmels übergeht, was überaus abwechslungsreich gelang.

Im mit „Auto-da-fé“ (Glaubensgericht) betitelten dritten Satz wird erzählt, wie Candide und Doktor Pangloss in Lissabon als Ketzer von der spanischen Inquisition verfolgt und gefangen genommen werden, um als Sündenböcke für ein Erdbeben zu dienen. In mitreißendem Tempo schilderte das Orchester mit imposantem Einsatz der Schlagwerker, wie die Beiden durch Gassen rennen, nicht mehr entkommen und eine öffentliche Auspeitschung über sich ergehen lassen müssen.

Der vierte Satz „Glitter and Be Gay“ (Glitzer und sei heiter) beginnt mit einem elegisch vorgetragenen Englischhornsolo, zu dem im Wechselspiel Flöte und Oboe hinzukommen. Den Klangteppich legten die Klarinetten und die Harfe, die hier sehr schön zur Geltung kam. Erzählt werden soll hier, wie sich Candides wahre Liebe Kunigunde als berühmte Madame in Frankreichs Hauptstadt bemüht, ein brillantes, sorgloses Äußeres zu wahren. Dazu schildert die Musik das Pariser Lebensgefühl in Offenbachscher und jazziger Stilistik.

Beim finalen Satz „Make Our Garden Grow“ (Bestelle unseren Garten) kam Katrin Geißler auf die Bühne. Mit ihrem warmen Sopran sang sie vom einzigen Zweck des Lebens, nämlich die Erde zu pflegen und einen Garten erstehen zu lassen. Hier erwiesen sich Orchester und Dirigent, die die Sängerin vom lyrischen Beginn bis zur abschließenden kraftvollen Hymne voller Hoffnung eskortierten, als einfühlsame Begleiter.

Danach gab es einen Abstecher in die Kirchenmusik mit Johann Sebastian Bachs Schlusschoral aus der Kantate BWV Nr. 147 „Jesus bleibet meine Freude“ in der „LBO-Hessen-Version“. Fast das ganze Orchester verließ seinen Platz und kam ein Stockwerk höher als Chor auf die Bühne zurück. Die Idee, die sängerischen Fähigkeiten des Klangkörpers zu fordern, kam Oliver Nickel im Rückblick auf das Konzert 2002 beim Deutschen Turnfest in Leipzig. Das Grundarrangement stammt von Alfred Reed und ist in der Originaltonart gehalten, so daß der Chorsatz ohne Probleme für die gelunge Darbietung genommen werden konnte. Die Musiker präsentierten sich unter seinem akzentuierten Chordirigat als repräsentables Gesangsensemble. Die kammermusikalische Begleitung bewies, dass eine Es-Klarinette richtig schön klingen kann und Blechbläser auch zurückhaltende weiche Töne hervorbringen.

Ein Ausflug in die Kammermusik stand mit dem „Rondo für Holzbläserquintett“ des Niederländers Rogier van Otterloo (1941 – 1988) als nächstes auf dem Programm. Ein von Flöte, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott akkurat musiziertes beschwingtes Stück, bei dem das Horn einen enormen Part zu stemmen hatte. Vor der Darbietung gab es für das Publikum dazu ein wenig „Musikunterricht“ durch Ann Marie Wintermeier, die sehr prägnant durchs Programm führte.

Mit der Komposition „Traveler“ für Blasorchester des Amerikaners David Maslanka stand vor der Pause ein harter Brocken auf dem Programm, der hervorragend gemeistert wurde. Das Werk war eine Auftragskomposition der texanischen Universität Arlington zum Abschiedskonzert des Universitätskapellmeisters Ray C. Lichtenwalter, die Maslanka als Beschreibung des Lebenslaufes seines Freundes und Förderers verstanden wissen möchte.
Neben der Bläserbesetzung setzt der Komponist Kontrabass, Klavier und ein ganzes Arsenal an Schlaginstrumenten ein. Das Stück ist in einem Satz angelegt, was für die Musiker fünfzehn Minuten volle Konzentration bedeutet. Maslanka nutzt alle Effekte, die für Blasinstrumente möglich sind. Getragene harmonische Passagen werden durch schnelle und von Spannungsakkorden geladene Abschnitte abgelöst. Am Anfang findet man das Motiv eines Bach-Chorals, das die Holzbläser und Xylophone mit Einwürfen unterbrechen und das immer wieder auftaucht. Dabei brillierten die Blechbläser mit signalartigen Motiven. Permanent gefordert waren die Schlagwerker, insbesondere die Stabspieler. Beeindruckend waren auch die Solopassagen von Sopransaxophon, Oboe, Klarinette, Horn und Piano.
Denn das Werk hat es in sich. Viele Taktwechsel, oft von einem Takt zum nächsten, mit Spannungsakkorden die nicht falsch klingen dürfen. Das haben Oliver Nickel und seine Musiker „sauber hingekriegt“ (auch im intonationsmäßigen Sinn), so dass man angesichts des Schwierigkeitsgrades einen Kickser oder einen nach oben gedrückten Ton oder eine kleine Ladehemmung beim Einsatz nicht bewerten darf.

Nach der Pause wurde das Programm mit „The Olympic Spirit“ des vielbeschäftigten Hollywoodkomponisten John Williams fortgesetzt. Williams schrieb dieses Stück für den NBC als Erkennungsmelodie zu den Übertragungen der Olympischen Spiele 1988 in Seoul. Den Anfang machten natürlich gekonnt die Blechbläser mit einer fanfarenmäßigen Sequenz, die bis zum markanten Abschluss mehrfach wiederkehrte.

Wer kennt sie nicht, die Filmmusik zum Western „Die glorreichen Sieben“ von Elmer Bernstein? Insbesondere das Leitmotiv ist jedem im Ohr. Der Belgier Marcel Peeters schuf ein anspruchsvolles Arrangement für Blasorchester. Da die Handlung des Films nicht nur in Texas, sondern auch im angrenzenden Mexico spielt, sind neben den lautmalerischen Rhythmen des Reitens durch die Prärie auch mexikanische Metren und Melodien verwendet. Auch hier sind die Musiker ihrem Dirigenten in allen rhythmischen und dynamischen Vorgaben konsequent gefolgt.

„Anitras Tanz“ aus der Peer-Gynt-Suite von Edward Grieg stand als nächstes auf dem Programm. Allerdings nicht in einer bekannten klassischen Bearbeitung, sondern als Arrangement des Jazztrompeters Sammy Nestico, der sich anfangs an die klassische Melodie hält, aber schon nach sechszehn Takten in den Bigbandsound der Swingära mit sattem Saxophonklang und spitzen Trompetenbreaks wechselt. Dazwischen eingestreut immer wieder ein paar Takte klassisch. Zum jazzigen Abschluss konnte man ein richtiges Augenzwinkern spüren.

Burt Bacharach schrieb für den Spielfilm „Alfie“ den gleichnamigen Song. Eine seiner Liebschaften besingt die Sehnsucht und Enttäuschung, die sie mit Alfie, einem ewigen Stenz, erlebt. Der Japaner Toshio Mashima hat den Titel für großes Blasorchester arrangiert. Für die LBO-Hessen-Version wurde der Gesang dazu genommen. Dabei kam auch Katrin Geißler wieder zum Einsatz. Schade, dass das Arrangement für ihre Sopranstimme eine zu tiefe Tonart hat, so dass ihre schöne Stimme oftmals vom ausladenden Orchesterklang nicht ganz, aber doch mehrmals zugedeckt wurde.

Den krönenden Abschluss des Konzertes bildete „Music“, der Klassiker der Rockmusik und zugleich größter Erfolg von John Miles. Der Text ist eine einzige Liebeserklärung an die Musik: „Music was my first love, and it will be my last“ (Musik war meine erste Liebe und sie wird meine letzte sein). Olivier Nickel hat dazu ein eigenes schönes Arrangement geschrieben, das Katrin Geißler und das Orchester wunderbar darboten.
Das Stück lebt von rhythmischen und melodischen Kontrasten und beginnt sehr langsam und getragen. Am Anfang wird der Gesang nur vom Klavier begleitet, in der zweiten Hälfte der Strophe kommen die weiteren Instrumente hinzu. Dann folgt ein schneller Instrumentalteil im 7/8-Takt mit dem typischen Rockbanddrive, bei dem die Musiker auch das Publikum zum Mitklatschen brachten. Das Tempo wechselt mehrmals abrupt und klingt mit balladenhaftem Gesang in fulminantem Sound aus.

Nun gab es kein Halten mehr: tosender Applaus, Standing Ovation für Orchester, Dirigent und Solistin, kurzum Begeisterung in allen Gesichtern. Die geforderte Zugabe war, es konnte kaum anders sein, der Marsch „Berliner Luft“ von Paul Lincke. Als Rausschmeißer erklang noch einmal ein Stück aus den „Glorreichen Sieben“.

Zur Chronistenpflicht gehört noch, dass sich die Turnermusiker über den Besuch von DTB-Vizepräsident Prof. Dr. Walter Brehm und Vizepräsident Alfred Metzger sehr gefreut haben.